Freitag, 25. März 2022

Story Friday 38

 Seid gegrüßt meine Lieben,

aus gegebenen Anlass hier eine Geschichte, die mir am Herzen liegt.


Schlüssel

 

Der Moment der Entscheidung. Der Moment der alles verändern würde. Für immer. Die Augen schlossen sich und die Arme breiteten sich aus. Nur noch ein Schritt. Ein Schritt nach vorne, ein Schritt der die Ewigkeit bedeutete. Der letzte Schritt, der, der getan werden musste. Seine Hand ergriff etwas an seinen Hals.

Man sagt, das in einen so bedeutenden Moment das bisherige Leben an einen vorbei zog. Es stimmte. Wenn in seinen Fall auch nur einen kleinen Abschnitt seines Lebens. Einen winzigen aber bedeutenden Abschnitt… der Erinnerung.

Der Regen. Die Brücke. Die Verzweiflung. Die Angst. Eine großartige Stadt namens Wien. Ein Lächeln, zuvor noch nie in so einer reinen Schönheit gesehen und er, er musste es wissen, sogleich sein Beruf ihn mit vielen Gesichtern verband.

Die Brücke, er lehnte über das steinige Geländer, schaute hinab zur Donau, den Regen auf der Haut spürend, durchdringende Nässe die Kleidung nicht verschonte.

Ein Schirm? Unnötig, es eh alles egal schien. Die Verzweiflung verdrängte jegliches Feingefühl, die Angst das Schamgefühl.

„Die Nässe auf ihren Wangen, das ist nicht der Regen alleine.“

So klar und sanft die Stimme und er drehte sich um, zu schauen in 2 wunderschöne Augen. Augen die er zuvor noch nie gesehen hatte. Und das Gefühl, das unbeständige Gefühl ertappt worden zu sein. Es zu verneinen, hieße zu lügen, doch warum störte ihn das, es eh doch alles egal schien.

Die Augen schauten ihn sanft weiter an und wie durch ein Wunder hörte der Regen um ihn herum auf und er wurde nicht weiter nass. Dieses Wunder, sofern er es bemerkte, nennt man Regenschirm.

Seine Augen konnten von den ihren nicht lassen und im Angesicht der Wiener Metropole schien es fast schon klischeehaft anzumuten, als er verlegen die Antwort gab. „Ja.“

Ein einfaches Ja, kein Auschmücken, keine Ausreden, keine Lüge, kein Verstecken der Situation. Aber war das bis vor einen Augenblick nicht eh egal gewesen? Der Kopf senkte sich, doch hob sich wieder überraschend als ein Taschentuch die vermischte Nässe aus Regen und Tränen abtupfte. Es fühlte sich sanft an, fühlte sich unwirklich an, fast schon wie in einen Film oder auf einer Bühne, da war es, das Klischee.

Die Wangen getrocknet, die Hand sich senkte und die Augen, diese faszinierenden und wunderschönen Augen, wandten den Blick nicht ab. Die Verlegenheit, sie ließ kein Wort zu, doch die eigenen Augen sprachen deutlich eine neue Sprache, von Verzweiflung zur Dankbarkeit.

Wortlos nahm sie seine Hand und zog ihn mit, keinen Widerstand gab er, folgte ihr und nicht viel später schaute er zu einen Riesenrad auf.

Der Regen, er fiel immer noch, das Wiener Riesenrad hatte geschlossene Kabinen und so zog sie ihn mit und kurz darauf, der Blick über Wien, der Blick über eine wunderschöne Stadt.

Und erst da merkte er es. Eingehakt hatte sie sich bei ihm und ihr Blick ging verträumt in die Ferne, ihre Hand spielte mit einen kleinen Schlüssel. Was schien real und was nicht. Es fühlte sich wieder wie ein Klischee an, wie im Film und doch… es fühlte sich unheimlich gut an. Die Verzweiflung zuvor, wo war sie nun? Weg?!

Der Regen ließ nach und sie zog ihn weiter mit, weiter über den Prater vorbei an all diesen bunten Buden, weiter zur Strassenbahn und dann, viel später stand er vor einer großen Glasscheibe, wurde von seltsamen Gestalten in schwarzweiß betrachtet. Kichernd stand sie neben ihn, stupste ihn an, denn Pinguine fand sie schon immer toll. Still stand er da, war auch in schwarzweiß gekleidet, hatte die Arme gesenkt wie diese ihre Flügel und vielleicht machte ihn das unbewusst zu einen Mitglied ihrer Familie.

Das reine und wunderschöne Lächeln, er sah es wieder am Eisbärengehege wo Eisbärenzwillinge sich im Wasser vergnügten. Ihr Lächeln angesichts dieser Bärenbabys, so unschuldig und rein, so frei und sanft, er vermisste etwas, seine Angst. Und er sah wieder den kleinen Schlüssel in ihrer Hand.

Und später vor den Schloß Schönbrunn, sie kichernd in das Labyrinth lief und er sie nicht finden konnte, ihm jemand die Augen zu hielt und natürlich war es sie, sie, die ihn eher fand und sie hatte wieder diesen kleinen Schlüssel in ihrer Hand.

Vorbei am Stephansdom, mit einer Kutsche durch die Stadt, kein Regen mehr fiel, die Sonne erschien und alles schien wie ein Traum. Ein klischeehafter Traum, denn jeder Traum nimmt mal ein Ende und irgendwann standen sie wieder an der Brücke, da, wo alles begann.

Ihr Lächeln, der Abschied spiegelte sich in den Augen, sie würde gehen und er hatte nichts. Keinen Namen, keine Adresse, keine Telefonnummer, nichts. 

„Was auch immer Verzweiflung rief, so schlimm kann es nicht sein, sonst hätten sie den Tag heute nicht so genossen.“ Sie drückte seine Hand zum Abschied und als die Hände sich lösten, hielt er den kleinen Schlüssel in der Hand.

Er schaute darauf, hob wieder den Blick an und wollte sie fragen, doch sie war weg. Wie von Erdboden verschwunden. Er war wieder alleine und der Regen begann wieder zu fallen. Sie war weg und es war, als ob sie ein großes Loch hinterlassen hatte.  Alleine. Im Regen auf einer Brücke in Wien, wo es mit Verzweiflung und Angst begann.

Jede Erinnerung hatte ihr Ende und er, er stand vor diesen Schritt, diesen Schritt in die Ewigkeit, fühlte in seiner Hand den kleinen Schlüssel, mit einer kleinen Kette umgehangen.

Die Arme ausgebreitet öffnete er die Augen und sah sie vor sich. Sie, die ihn gefunden hatte. Ihre Hand lag an ihren Hals und er sah einen kleinen Schlüssel. Die Entscheidung fiel.

Er machte den Schritt vor… und verneigte sich.

Tosender Applaus ertönte, begeisterte Rufe, begeisterte Pfiffe und sie, die ihn sanft und stolz anlächelte.

Seine Angst und Verzweiflung überwunden, den Sprung über den eigenen Schatten, der Druck  weg, die Zukunft offener denn je. Überalle standen sie begeistert auf, hörten nicht mehr auf zu klatschen und sein Blick fiel auf den Schlüssel und dann auf sie.

Er lächelte.

 

Ende




Habt ein schönes Wochenende.

Euer

Olli

1 Kommentar:

  1. Was für eine schöne, melancholische und trotzdem so hoffnungsvolle Geschichte. Vielen Dank, Wyvern.

    Liebe Grüße,
    Lucia

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