Der Wolf
Langsam geht die Sonne auf. Die Sonnenstrahlen verleihen dem Schnee einen fast überirdischen Glanz. Es ist ein wunderschöner Morgen.
Aber nicht für Logan Wolf. Ungeduldig tritt er von einem Bein auf das andere. So schön der Morgen auch ist, es ist immer noch sehr kalt.
„Sachte Logen. Sachte. "Wir kriegen den Kerl schon.“ Axel Moore klopft ihm auf die Schulter.
„Ich weiß, ich weiß. Aber ich kann den Mistkerl nicht früh genug kriegen. Wenn ich nur dran denke, dass in diesem Augenblick wieder ein unschuldiges Tier in seine Falle tritt, das macht mich rasend.“ Logan ballt die Faust.
„Logan.“ Eine Frau tritt an ihn heran. „Pass auf dich da draußen auf. Der Wilderer ist gefährlich.“
„Ich werde aufpassen, Kataya. Das verspreche ich dir.“ Logan haucht seiner Frau einen Kuss auf die Wange.
„Soll ich dich nicht lieber begleiten?“ fragte Axel Moore leicht besorgt.
„Nein Axel. Du wartest mit Kataya auf den Förster und seinen Gehilfen. Dann folgt ihr meinen Spuren.“ Logan greift zu seinem Gewehr.
„Wie du meinst, Logan.“ Axel zuckt mit den Schultern.
„Bis dann.“ Logan stapft los.
Kataya Wolf und Axel Moore schauen ihm nach.
Nach einer guten Weile verschwindet er zwischen den Bäumen. Kataya winkt ihm nach. Sie macht sich sehr große Sorgen um ihn.
Logan stapft durch den Wald. Es würde eine gute Weile dauern, bis er sein Ziel erreicht hat. Die Ereignisse der letzten drei Tage gehen ihm noch einmal durch den Kopf. Es begann vor drei Tagen. Logan und Kataya gingen im Wald spazieren, als sie auf eine Bärenfalle stießen. Eine Bärenfalle, das ist die Falle, deren Dornen sofort zuschnappen, wenn man mit dem Fuß reintritt. Eine ungeheuer schmerzliche Erfahrung, für diejenigen, die dort reintreten.
Die Falle war nicht leer. Ein Bär befand sich in der Falle. Er war qualvoll erfroren. Er war in die Falle getreten und kam nicht mehr heraus. Das war vermutlich während des Schneesturms vor vier Tagen passiert. Der Wilderer hätte sicherlich sonst seine Falle aufgesucht. Doch das war nicht der Fall. Nach einer kurzen Suche fanden Logan und Kataya noch mehr Fallen. Sie entschärften die Fallen, indem sie jeweils einen Ast in die Falle steckten und sie so zuschnappen ließen. Danach sagten sie dem Förster des Reviers Bescheid. Der machte sich alleine auf, um die Fallen zu vernichten und den Wilderer zu fangen. Doch das ging schief. Er geriet in einen Hinterhalt des Wilderers und wurde nieder geschossen. Da er rechtzeitig gefunden wurde, überlebte er.
Logan und Kataya machten Urlaub in Kanada. Sie suchten sich den nächsten Tag einen anderen Wald, um spazieren zu gehen.
Doch aus dem gemütlichen Spaziergang wurde auch nichts. Sie stießen wieder auf Bärenfallen. Mindestens fünfzehn Fallen fanden sie nach intensiver Suche. Die sechzehnte Falle hatte einen nunmehr toten Fuchs gefangen. Plötzlich begann jemand auf sie zu schießen. Logan und Kataya konnten gerade noch entkommen. Am nächsten Tag wollte Logan den Wilderer auf eigene Faust stellen.
Der Besitzer des Blockhauses, in welches sie sich gerettet hatten, war mit einem der Gehilfen des Försters befreundet und wollte sie telefonisch verständigen, doch ein erneuter Schneesturm kam ihnen in die Quere.
Axel Moore freundete sich mit den Wolfs an und gab Logan sein Gewehr, zumal Logan darauf bestand. Als ehemaliger Söldner wusste er damit umzugehen.
Nun stapft er durch den Schnee. Er will den Wilderer stellen. Koste es was es wolle. Noch mehr Tiere darf er nicht töten.
Nach einer guten Zeit erreicht er die Stelle, an der auf sie geschossen wurde. Die Falle ist weg. Der Wilderer hatte sich sein Opfer geholt. Logan untersucht die Stelle genau und schaut sich um. Er wird fündig. Nach einer guten Weile entdeckt er Spuren, welche weder ihm noch Kataya gehören.
„Warte, mein Freund. Ich kriege dich!“ murmelt er und folgt der Fährte. Anhand der Spuren kann man erkennen, dass der Wilderer nicht nur ein, sondern mehrere Tiere getötet haben muss. Eine Schleifspur, ohne Zweifel von einem Sack, zieht sich neben den Fußstapfen her. Der Tiefe nach zu urteilen, war der Sack sicherlich sehr voll.
Logan Wolf folgt der Spur eine ganze Weile. Je länger er der Spur folgt, desto schlechter wird das Wetter. Wind beginnt aufzuziehen und verweht langsam aber sicher die Spur. Bald hat der Wind die Spur verweht. Logan flucht. Das ist sehr ärgerlich. Während er überlegt, wie es weiter gehen soll, ertönt ein Heulen.
Logan horcht auf. Ein Wolf. Wieder ertönt das Heulen. Es kommt näher. Logan dreht sich im Kreis. Er kann den Ursprungsort des Geheuls nicht heraus hören. Ein Knurren hinter seinem Rücken läßt Logan schmerzhaft klar werden, dass der Wolf sehr nah ist. Langsam dreht er sich um. Vor ihm steht ein ausgewachsener Wolf. Das Bemerkenswerte ist die Farbe seines Fells. Es ist schneeweiß. Man könnte ihn im Schnee leicht übersehen. Der Wolf sitzt in Platzstellung und schaut Logan wild an. Er knurrt.
Logan sieht seine Chancen ins Bodenlose sinken. Zum Schießen ist der Wolf zu nah. Bevor er sein Gewehr hoch bekäme, hätte der Wolf ihn schon erreicht. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als starr stehen zu bleiben und sich ruhig zu verhalten. Er schaut dem Wolf in die Augen. Der Wolf steht langsam auf. Sein Knurren endet nicht. Langsam schreitet er näher und umrundet Logan. Er scheint ihn zu beschnuppern. Dann dreht er sich um und tapst davon. Logan atmet auf. Gewiss, er war einmal Söldner, doch ein ausgewachsenes Exemplar von einem Wolf wie diesem hatte er noch nie gegenübergestanden.
Da die Spuren verweht sind, orientiert sich Logan in Richtung Norden, wo auch die Spuren hinführten. So hat er wenigstens ungefähr die Richtung. Nach einer guten Stunde Fußmarsch beginnt sich Logan zu fragen, was ihm das sture geradeaus gehen überhaupt noch bringt. Aufgeben will er nicht, aber ohne den geringsten Hinweis auf den Wilderer, kommt er nicht mehr weiter voran. Nicht einmal Fallen hat Logan noch gesehen.
Ein Heulen durchdringt den Wald. Logan erkennt das Heulen, doch irgend etwas ist anders als sonst. Wieder ertönt das Heulen. Dieses Mal ist es klagender. Es klingt nach Schmerz. Logan erkennt die Richtung aus der das Geheul kommt und geht dorthin. Das Heulen ertönt erneut. Daran, dass es lauter wird, erkennt Logan, dass er auf der richtigen Fährte ist. Und tatsächlich. Kurz darauf sieht er den Wolf. Es ist der schneeweiße Wolf von vorhin. Und er sitzt mit seinem Hinterlauf in einer Bärenfalle.
Der Wolf sieht ihn und beginnt zu knurren. Dieses Mal klingt es ganz klar bedrohlicher. Der Wolf fühlt sich von ihm bedroht. Logan legt sein Gewehr zur Seite und kommt langsam näher. Das Knurren wird heftiger. Kurz vor dem Wolf bleibt er stehen und kniet sich nieder. Dabei achtet er darauf, dass der Wolf ihn nicht erreichen kann.
Er schaut dem Wolf geradewegs in die Augen. „Ganz ruhig. Ich tue dir nichts. Ich möchte dir helfen.“
Beruhigend redet er auf den Wolf ein. Je mehr er redet, um so leiser wird das Knurren. Dann wandelt sich das Knurren in ein Jaulen. Das Eis zwischen ihnen ist gebrochen. Logan streichelt den Wolf. Dann öffnet er vorsichtig die Falle und befreit den Fuß.
„So mein Freund. Moment. Ich verbinde dich noch.“ Logan holt ein Taschentuch aus seinem Parka und verbindet damit die Wunde. Die Blutung ist gestoppt. Der Wolf schaut Logan dankbar an und leckt ihm mit der Zunge durch das Gesicht.
„Hey, hey. Lass das!“ Logan lacht. Er krault den Wolf.
Der Wolf dreht sich um und humpelt davon. Logan schaut ihm nach.
Dann wendet er sich der Falle zu und mustert sie. Diese Falle sollte keinem Tier mehr schaden. Er bückt sich, um sie aufzuheben, als er plötzlich einen Schlag auf den Hinterkopf bekommt. Bevor er das Bewußtsein verliert, hört er noch jemanden sagen: „Verdammter Mistkerl. Ohne dich hätte ich den zweiten weißen Wolf gehabt!“
*****
Kataya Wolf, Axel Moore und der Förster mit seinen Gehilfen versuchen der Spur zu folgen, als plötzlich ein starker Schneesturm aufzieht. Sie müssen zurück. Der Sturm dauert mehrere Stunden. Stunden der Angst und Sorge für Kataya. Als der Schneesturm abgeflaut ist, machen sie sich wieder auf. Sie orientieren sich an der Richtung, in die Logan verschwand.
Nach einer halben Stunde Marsch bleibt der Förster plötzlich stehen.
„Bleibt stehen und rührt euch nicht.“ sagte er.
Kataya wundert sich, doch dann sieht sie den Grund. Unweit von ihnen steht ein Wolf. Ein schneeweißer Wolf. Einer der Gehilfen hebt hinter dem Rücken des Försters sein Gewehr.
Bevor er abdrücken kann, drückt Kataya das Gewehr runter.
„Nicht schießen. Er weiß wo Logan ist. Folgen wir ihm.“
„Aber...“
„Kein aber. Sehen sie sein rechtes Hinterbein.“
„Was? Oh verflixt... Los folgen wir ihm.“ murmelte der Förster.
Der Wolf hat sich umgedreht und humpelt los. In einigem Abstand folgen sie ihm. Der Wolf führt sie zielsicher zu der Stelle, an der er von Logan befreit wurde. Dort erwartet die Folgenden ein merkwürdiger Anblick. Vier weiße Wölfe liegen dicht um einen Menschen herum und wärmen ihn. Es ist Logan Wolf. Ein kleines Stück weiter liegt der Wilderer. Er ist erfroren. Bißwunden an seinem Bein zeigen, dass jemand etwas dagegen hatte, dass er flieht. Er konnte nicht mehr laufen, so heftig sind die Bißwunden.
„Logan! Wach auf!“ Kataya hebt seinen Kopf an. Logan ist warm. Die Wölfe haben ihn gewärmt und somit während des Schneesturms das Leben gerettet.
Axel hält Logan eine Flasche an den Mund. Es ist Whisky. Nach einigen Augenblicken prustet Logan und erwacht.
„Kataya. Wo bin ich? Was ist geschehen?“
„Du bist in Sicherheit. Es war nicht leicht, aber wir haben dich gefunden.“
„Wie?“
„Durch deinen Freund dort.“ Kataya deutet auf den Wolf. „Ein Wolf mit einem rosafarbenen Taschentuch am Hinterbein ist nichts Alltägliches. Noch dazu, wenn die Initialen L. W. draufgestickt sind.“ lächelte sie.
„Und der Wilderer?“
„Er ist erfroren. Ihm ist das gleiche Schicksal wie seinen Opfern zuteil geworden.“
Logan richtet sich auf und wankt zu dem Wolf. Dieser weicht nicht zurück. Logan krault ihn.
„Danke.“ murmelte er leise. Wie zur Antwort fährt der Wolf ihm mit der Zunge durch das Gesicht. „Hey. Es langt.“ lachte er.
Die vier Wölfe laufen los. Der Wolf humpelt langsam hinterher. Kataya hakt sich bei Logan ein und stützt ihn.
„Es ist ein schönes Tier.“ „Ja.“ Logan nickt.
Bevor der Wolf verschwindet dreht er sich noch einmal um und schaut Logan an. Er heulte. Doch dieses Heulen klingt weder bedrohlich, noch schmerzhaft. Es klingt ganz einfach freundlich, fast glücklich. Der Wolf verschwindet im Wald.
Ende
Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende.
Euer
Olli
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